31.05.2023

Der Kampf geht weiter: Berufungsverfahren der #Paros3 am 08.06.23

Gemeinsame Erklärung von borderline-europe, Aegean Migrant Solidarity, Can't Evict Solidarity und Legal Centre Lesvos

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Am 08. Juni findet auf der griechischen Insel Syros der Berufungsprozess gegen Abdallah, Kheiraldin und Mohamad, die #Paros3, statt. Da sie das Boot gesteuert hatten, mit dem sie und rund 80 weitere Menschen versuchten, EUropa zu erreichen, wurden sie am 05. Juni 2022 wegen Schmuggel zu insgesamt 439 Jahren Haft verurteilt. Sie sitzen bereits seit 1,5 Jahren im Gefängnis.

Am 24. Dezember 2021 um 8 Uhr morgens legte ein Boot von der türkischen Küste in Richtung Italien ab, mit der Hoffnung, so Griechenland zu umgehen, das für seine systematischen und gewaltsamen Pushbacks berüchtigt ist. An Bord waren mehr als 80 Menschen, die verzweifelt versuchten, Syrien und die Türkei zu verlassen, um in Europa ein neues Leben zu beginnen.

Unter ihnen waren auch Abdallah J. und Mohamad B., beide 32-jährige Väter von vier Kindern, sowie Kheiraldin A., ein 39-jähriger Vater von zwei Kindern. Abdallah hat Familie in Österreich, Mohamad in Deutschland, Kheiraldin in Deutschland und Finnland. Kheiraldin beschloss, seine Heimat, seine beiden Kinder und seine Frau in der Türkei zu verlassen, weil seine zweijährige Tochter eine Operation benötigt, die sie in der Türkei nicht bekommen kann. Er hoffte, in Europa Asyl zu beantragen und seine Tochter dorthin mitzunehmen. Weder Abdallah, noch Mohamad oder Kheiraldin hatten das Geld für die besonders teure Reise nach Italien. Sie verfügten jedoch über einige mechanische Kenntnisse, die sie als Gegenleistung anbieten konnten. Daher erklärten sie sich bereit, gegen einen günstigeren Fahrpreis einige Steuerungsaufgaben zu übernehmen. Abdallah übernahm die Rolle des Kapitäns, Kheiraldin die des Mechanikers und Mohamad die des Assistenten.

Auf der Migrationsroute von der Türkei nach Europa ist dies nicht ungewöhnlich. Flüchtende müssen die Boote in der Regel selbst steuern. Während in der Vergangenheit Schleuser*innen ihre "Kund*innen" an das gewünschte Ziel brachten, z.B. sie sicher auf der anderen Seite der Ägäis absetzten, ist dies durch die zunehmende Militarisierung der Grenzen und Kriminalisierung der Migration zu einem zu hohen Risiko geworden und daher seit Jahren nicht mehr Teil des Angebots.

160 km lang gaben Abdallah, Kheiraldin und Mohammad ihr Bestes, um das Boot so sicher wie möglich an den griechischen Inseln vorbei Richtung Italien zu steuern. Nachdem sie bereits über zehn Stunden auf dem Wasser waren, fiel einer der Motoren aufgrund der instabilen Wetterbedingungen aus. Kurz darauf folgte der zweite. Abdallah, Kheiraldin und Mohamad versuchten ihr Bestes, um das Problem zu beheben, aber es gab nicht viel, was sie tun konnten. Als das Wasser anfing, in das Boot einzudringen, brach Panik aus, so dass es schließlich am Heiligabend gegen 18 Uhr in der Nähe der griechischen Insel Paros kenterte. 63 Menschen konnten gerettet werden, aber 18 verloren ihr Leben in den Wellen.

Auf der Insel befragten die Küstenwache und die Polizei die Überlebenden. Alle standen noch unter tiefem Schock. Einige Stunden zuvor waren sie fast ertrunken. Einige von ihnen hatten gerade ihre Angehörigen verloren. Einige hatten Stunden in der eiskalten See verbracht, bevor sie gerettet wurden. Die Behörden waren jedoch nicht in erster Linie daran interessiert, die Geschichten der Opfer aufzunehmen und ihre Familien zu informieren oder ihnen Rechtsauskunft zu erteilen. Das einzige, was sie interessierte, war herauszufinden, wer das Boot gesteuert hatte (Die vollständige Geschichte der #Paros3 ist hier zu finden).

Die Person, die das Boot gesteuert hat, wird von den europäischen Behörden nicht nur als Schmuggler*in verantwortlich gemacht, sondern auch für das ganze Leid während der Reise. Die Person wird verhaftet, kriminalisiert und oft für Jahrzehnte hinter Gitter gesteckt. Die ganze Schuld für die zunehmend tödlichen und gewalttätigen Fluchtrouten wird ihnen zugeschoben und damit von der Veranwortung europäischer Behörden und Grenzpolitik abgelenkt. 

Wie von CPT - Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe und Deportation Monitoring Aegean dokumentiert, wird die Erhebung solcher Anklagen gegen Migrierende, die auf den griechischen Inseln ankommen, vom griechischen Staat seit mehreren Jahren systematisch betrieben. Die Verhaftungen, die diesen oft unbegründeten Anschuldigungen des Schmuggels folgen, sind oft willkürlich, und die Prozesse verstoßen meist gegen grundlegende Standards der Fairness. Ohne ausreichende Beweise werden Menschen in der Regel bei ihrer Ankunft verhaftet und monatelang in Untersuchungshaft gehalten. Wenn ihr Fall schließlich vor Gericht kommt, dauern die Prozesse im Durchschnitt nur 38 Minuten und führen zu einer durchschnittlichen Strafe von 44 Jahren und Geldstrafen von über 370.000 Euro.

Am 05. Mai fand der Prozess gegen die #Paros3 auf der griechischen Insel Syros statt. Obwohl sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Richter*innen zustimmten, dass die drei Angeklagten weder die Schmuggler waren noch aus Gewinnstreben gehandelt hatten und auch keine Schuld am Tod der 18 Menschen trugen, wurden die drei Väter dennoch wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einreise" verurteilt, was zu einer Strafe von 187 Jahren für den "Kapitän" und 126 Jahren für jeden der beiden "Helfer" führte. Der vollständige Prozessbericht ist hier zu finden: Kheiraldin, Abdallah und Mohamad: #Paros3 zu ingesamt 439 Jahren Haft verurteilt, weil sie das Boot steuerten.

Die Verteidigung hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Am 08. Juni findet endlich die Berufungsverhandlung statt.

Gemeinsam mit ihren Familienangehörigen und ihren Anwält*innen werden wir vor Ort sein, um auszusagen, zu dokumentieren und zu unterstützen!

Wir fordern ihre sofortige Freilassung aus dem Gefängnis, Freiheit für alle, die wegen des Steuern eines Bootes (oder Autos) verhaftet wurden und ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht!



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Freitag, 02 Juni 2023
© Photo borderline-europe