14.05.2022

Pressemitteilung: Skandalöser Fall von Kriminalisierung von Flüchtenden: Prozess gegen #Samos2 für 18. Mai angesetzt

In einem beispiellosen Schritt haben die griechischen Behörden einen Geflüchteten wegen des Ertrinkens seines 6-jährigen Sohnes bei einem Schiffsunglück angeklagt. Zusammen mit seinem Mitfahrer, dem für das Steuern des Boots lebenslange Haft droht, wird er am 18. Mai 2022 in Samos vor Gericht stehen. Mehr als 70 Organisationen aus ganz Europa fordern, dass die Anklage gegen die #Samos2 fallen gelassen wird. 

Die Menschenrechtsgruppen Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe e.V. und die European Democratic Lawyers werden den Prozess beobachten. Twitter: @BorderlineEurop; #Samos2  


Samos, 14. Mai 2022 - N., ein 25-jähriger Afghane, ist der erste Asylsuchende, der in Europa für den Tod seines Kindes angeklagt wird, - dabei war alles, was er wollte, sein Kind in Sicherheit zu bringen. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, weil er "das Leben seines Kindes gefährdet" hat, indem er es in ein Boot nach Europa setzte. 

"Dieser Schritt stellt einen beunruhigenden Präzedenzfall für die Kriminalisierung von Migrant*innen dar, weil er für alle Familien gelten kann, die in Griechenland ankommen", kommentiert Dimitris Choulis, Anwalt der #Samos2. 

N. steht zusammen mit dem 23-jährigen Afghanen Hasan vor Gericht, der zusammen mit ihm am 08. November 2020 verhaftet wurde. Als sie über die Ägäis aus der Türkei flohen, verließ der Schmuggler kurz darauf das Boot, woraufhin Hasan das Boot steuern musste. Aufgrund dessen wird er des Schmuggels beschuldigt und somit des "unerlaubten Transports von 24 Drittstaatsangehörigen in griechisches Hoheitsgebiet" angeklagt, mit den erschwerenden Umständen der "Gefährdung des Lebens von 23" und der "Verursachung des Todes von einem" - N.s Sohn. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe für den Tod des Kindes und weitere 10 Jahre Haft für jede transportierte Person, insgesamt also 230 Jahre plus lebenslänglich.  

Mehr als 70 Organisationen in ganz Europa haben die Kampagne "Das wahre Verbrechen ist das Grenzregime - Freiheit für die #Samos2" ins Leben gerufen und fordern, dass die Anklagen gegen N. und Hasan fallen gelassen werden. Sie prangern die massive Kriminalisierung von Migrant*innen an, die mangels legaler Fluchtwege keine andere Wahl haben, als ihr Leben auf immer gefährlicheren Reisen zu riskieren. 

"Diese Verhaftungen können nur als systematischer Versuch gewertet werden, Menschen von der Einreise abzuschrecken. Die Behörden wissen sehr wohl, dass die Verhafteten selbst Geflüchtete sind. Aber sie machen sie zu Sündenböcken für Bootstragödien, die in Wirklichkeit die unvermeidliche Folge der militarisierten Grenzen sind", kritisiert Julia Winkler der Organisation borderline-europe, die in den letzten zwei Jahren viele solcher Fälle verfolgt hat.   

Hasan wurde angeklagt, obwohl andere Mitreisende, darunter auch N., erklärten, Hasan habe das Steuer übernommen, weil es schlichtweg jemand tun musste. 

"Egal, wie oft sie es wiederholen, es war nicht die Schuld des Fahrers. Er ist nur ein Migrant und seine Familie war auch da, er hat nichts falsch gemacht, er ist nicht zu beschuldigen. Ich bitte nur darum, ich möchte, dass diese Person freigelassen wird", sagt N.  

"Wir sind nur Migranten, und wenn die Migranten kommen wollen, kommen die Schmuggler nicht. Sie werden die Migranten zwingen, das Boot selbst zum Zielort zu bringen, egal ob sie wissen, wie man ein Boot fährt oder nicht", sagt Hasan.

Ist der Fall von N. zwar der erste seiner Art, stellt die gegen Hasan erhobene Anklage wegen "Schmuggels" keinen Einzelfall dar. Wie von CPT - Aegean Migrant Solidarity, borderline-europe und Deportation Monitoring Aegean dokumentiert, verhaftet die Polizei routinemäßig eine oder zwei Personen pro ankommendem Boot. Offiziellen Zahlen des griechischen Justizministeriums zufolge stellen Asylsuchende, die wegen Menschenschmuggels verurteilt wurden, die zweitgrößte Kategorie von Inhaftierten in Griechenland dar.

Die meisten werden unmittelbar nach ihrer Ankunft festgenommen und haben keinen Zugang zu angemessenem Rechtsbeistand, geschweige denn zu externer Unterstützung. Da das griechische Recht besonders drakonische Strafen für Menschenschmuggel vorsieht, führt dies dazu, dass Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit nach Europa kommen, härter bestraft werden als Mörder und Jahrzehnte ihres Lebens im Gefängnis verbringen. 

Pressekontakte:
- Julia Winkler, borderline-europe, jw@borderline-europe.de
- Dimitris Choulis, Human Rights Legal Project Samos, Anwalt der #Samos2