Statement zur Externalisierungpolitik der EU in den Balkanstaaten
Deutschland muss sich im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft für den Zugang zu Schutz in der EU einsetzen, anstatt Migrationspolitik auf Drittstaaten wie Serbien auszulagern. Der von der EU-Kommission vorgestellte neue Migrationspakt ist keine Lösung!
Die EU-Kommission konkretisiert im “New Pact on Migration and Asylum” ihre zukünftige Migrationspolitik. Analysen zeigen, dass die dort formulierte Strategie zu einem zwei-Klassen-Asylsystem führt. Das Recht auf individuelle Prüfung der Asylverfahren ist somit ausgehebelt. In Zukunft sollen an den Grenzen sogenannte “Screenings” durchgeführt werden.
Für die EU-Kommission bedeutet Solidarität in der europäischen Gemeinschaft die Bereitschaft, Abschiebungen durchzuführen, falls ein Mitgliedstaat die Aufnahme von Immigrierenden ablehnt. Der beschworene “Solidaritätsmechanismus” baut auf Exklusion und steht für eine kaum zukunftsfähige Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Für Staaten im EU-Beitrittsverfahren bedeutet der Weg in die EU, europäische Externalisierungspraxen anzunehmen und zu stützen. In Zukunft sollen Länder des Westbalkans an diesen Abschiebe-Politiken teilhaben. Dies zeigt sich besonders an den EU-Beitrittsverhandlungen von Serbien:
Serbien wird als Nicht-EU-Staat bereits vor EU-Beitritt Teil des europäischen Abschiebesystems. Konkret soll die EURODAC Datenbank und des Dublin System auf Serbien ausgeweitet werden.
Frontex, die europäische Grenz- und Küstenwache, ist bereits in den nicht EU Ländern Albanien und Montenegro präsent und einsatzbereit. Für die Mission in Serbien werden derzeit Vorbereitungen getroffen.
Derzeit beantragen nur 1,53% der registrierten Schutzsuchenden Asyl in Serbien. Der Zugang zum Asylsystem ist komplex und durch intransparente Behörden und kurze Fristen nahezu versperrt. Es mangelt an rechtlicher Beratung, wirksamen Rechtsbehelfen und an Verfahrensgarantien, insbesondere für unbegleitete Minderjährige. Systemische Mängel des serbischen Asylsystems führen dazu, dass viele Geflüchtete fälschlicherweise als illegal gelten. Die Versorgung von Grundbedürfnissen, wie medizinische Behandlung und Bildung, ist nicht gesichert.
Die bestehende Asylgesetzgebung soll in Serbien bis Ende 2020 an europäische Richtlinien angepasst werden. Die geplanten Gesetzesänderungen sehen nicht vor, die genannten Missstände zu beheben. Stattdessen ermöglichen sie, dass Schutzsuchende noch schneller und ohne individuelle Prüfung des Asylgesuchs aus Serbien abgeschoben werden können. Menschenrechtliche Standards sind auch im Bereich der Abschiebung und Haft weder gegeben, noch angedacht. Abschiebeabkommen mit Afghanistan, Pakistan, Irak und Marokko werden verhandelt.
Im August begannen serbische Behörden mit dem Bau einer Grenzanlage an der Grenze zu Nord-Mazedonien, ein Schritt “des Europäisierungsprozesses”, wie es von lokalen Behörden hieß.
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission werden Menschen an der Grenze gestoppt und zu Screenings verpflichtet. Möglich ist, dass die EU diese Screenings an der Außengrenze in Ländern wie Serbien durchführt. Gleichzeitig erhält die EU die Möglichkeit Menschen in das “sichere Drittland” Serbien abzuschieben. Serbien wird somit zu einem Auffangbecken europäischer Migrationspolitik!
Die Verantwortung der Bundesregierung ist es, sich während der Ratspräsidentschaft dafür einzusetzen, dass Menschen auf Grundlage menschenrechtlicher und humanitärer Mindeststandards behandelt werden. Wir fordern, dass über die Verhandlungen im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik mit Serbien transparent berichtet wird.
Europa braucht langfristige und menschenrechtsbasierte Lösungen in ihrer Migrations- und Asylpolitik. Die Balkanstaaten dürfen nicht weiter die Außenposten der EU-Abschottungspolitik sein.
8. Oktober 2020