Kreta: Freispruch für drei Männer, die wegen ihrer Arabisch-Sprachkenntnisse als Schmuggler angeklagt wurden. Ihnen drohten 205 Jahre Gefängnis.
Am 6. September 2024 sprach das Gericht in Chania, Kreta, drei ägyptische Männer – S.M., E.A. und B.A. – frei, die wegen des Vorwurfs der „Beihilfe zur unerlaubten Einreise“ angeklagt waren und denen jeweils eine Haftstrafe von bis zu 205 Jahren drohte. Die griechischen Behörden hatten sie allein aufgrund der Tatsache, dass sie als eine andere Nationalität als die übrigen Bootsinsassen*innen hatten, sowie ihrer arabischen Sprachkenntnisse als Schmuggler 'identifiziert' und verhaftet.
Der Prozess dauerte fünf Stunden, und im Gegensatz zu vielen anderen Fällen wurde eine ausreichende Dolmetschung bereitgestellt. Zwei Zeug*innen sagten zur Unschuld der Männer aus und bestätigten, dass sie Passagiere und keine Schmuggler waren. S.M. selbst erklärte, dass er lediglich eine bessere Zukunft suchte und zu Familienmitglieder in Italien wollte, getrieben von der extremen Armut in Ägypten. Die Staatsanwaltschaft plädierte dennoch für schuldig, aber der Richter sprach alle drei Angeklagten frei und, nach bereits einem Jahr der Inhaftierung, entließ sie in ihre Freiheit.
Auch wenn dieser Freispruch ein Sieg ist, darf nicht vergessen werden, dass S.M., E.A. und B.A. 12 Monate lang unschuldig inhaftiert waren. Ihre Freilassung ist eine große Erleichterung, wie auch unser Anwalt, Spyridon Pantazis, betonte: „Es ist ermutigend, wenn Richter sich nicht von konservativen repressiven Reflexen leiten lassen. Nach zwölf Monaten ungerechter und illegitimer Haft werden S.M., E.A. und B.A. endlich die Freiheit erleben. Eine große Erleichterung für sie und ihre Angehörigen. Heute hat die Gerechtigkeit gesiegt.“
Dieses Urteil zeigt, welchen Unterschied eine angemessene rechtliche Vertretung machen kann. Die meisten Menschen in ähnlichen Situationen haben keinen Zugang zu guten, vertrauensvollen Anwält*innen oder einem fairen Prozess. Viele Migrierende werden zu Unrecht inhaftiert und aufgrund willkürlicher Gründe wie der alleinigen Tatsache, dass sie eine andere Sprache als der Rest der Passagier*innen wie Arabisch sprechen oder ein Handy bei sich haben, angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt.
Fallübersicht
Am 5. Februar 2024 begaben sich 44 Personen, darunter 41 aus Pakistan und 3 aus Ägypten, auf eine gefährliche Reise von Bengasi, Libyen, in einem fünf Meter langen Boot. Ihr Ziel war es, die Europäische Union zu erreichen, um lebensbedrohlichen Situationen zu entkommen. Unter den Passagier*innen befanden sich auch S.M., E.A. und B.A., die fälschlicherweise der Schlepperei beschuldigt wurden, vermutlich lediglich aufgrund ihrer Nationalität und Sprachkenntnissen.
S.M. berichtete, dass er über einen Monat in einem libyschen Lagerhaus festgehalten wurde, bevor er ohne jegliche Navigationskenntnisse gezwungen wurde, an Bord des Bootes zu gehen. Die Person, die das Boot tatsächlich steuerte, hatte sie verlassen, und die Passagier*innen waren auf sich allein gestellt. Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft, die darauf basierten, dass S.M. dem Kapitän angeblich mit Karten half, waren völlig haltlos, da er keine Kenntnisse in der Navigation besaß und keinen Zugang zu Karten hatte. Außerdem hatte die griechischen Justiz keine Zuständigkeit, da sich das Boot weit außerhalb griechischer Gewässer befand – ein Fakt, der bei den ursprünglichen Anschuldigungen ignoriert wurde.
Ein systematisches Unrecht
Dieser Fall ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Musters, bei dem Migrierende routinemäßig kriminalisiert werden, nur weil versuchen, Sicherheit zu erreichen. Viele landen in Untersuchungshaft und erhalten harte Urteile aufgrund unbegründeter Vorwürfe der Schlepperei. Anders als die Crew der Iuventa oder andere prominente Fälle erhalten diese Menschen selten die öffentliche Unterstützung oder rechtliche Hilfe, die für eine gute Verteidigung nötig wäre. Ihre Fälle verdeutlichen die systemischen Ungerechtigkeiten im Umgang mit Migrierenden in ganz Europa.
Während wir den Freispruch von S.M., E.A. und B.A. feiern, dürfen wir nicht vergessen, dass ihr Jahr der ungerechten Inhaftierung nicht rückgängig gemacht werden kann. Wir, borderline-europe e.V., stehen in Solidarität mit allen Beschuldigten und Inhaftierten und fordern die griechischen Behörden auf, die Kriminalisierung von Migrierenden zu beenden!