29.10.2024

Ihm drohen 1.020 Jahre Gefängnis: „Ich habe nur das Boot gesteuert“

Der Fall von Abdelhafiz O. aus Ägypten

Kreta, Griechenland. Am 28. Dezember 2023 legte ein Boot mit Abdelhafiz O., einem zweifachen Vater aus Ägypten, und 69 anderen Menschen von Tobruk, Libyen ab. Mehrere andere Passagiere sagten aus, dass Abdelhafiz einer von ihnen war und, genau so wie der Rest der Passagiere, zu einer gefährlichen Überfahrt gezwungen war. Obwohl er das Boot nur steuerte, klagten ihn die griechischen Behörden des Menschenschmuggels an. Ihm wird die Verantwortung für die gefährliche Reise vorgeworfen und so droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu 1.020 Jahren.



Nachdem das Boot aufgrund schlechter Wetterbedingungen in der Nähe der Insel Gavdos südlich von Kreta auf Grund gelaufen war, rettete die griechische Küstenwache alle 70 Passagiere und brachte sie zum Hafenamt in Chania. Die griechischen Behörden begannen sofort mit der Befragung der Passagiere, um den “Schmuggler” zu ”identifizieren“ – eine seit 2015 gängige Praxis der Strafverfolgungsbehörden. Dies läuft allerdings häufig ab wie im Fall von Abdelhafiz O.: Acht Passagiere gaben an, dass er und eine weitere Person während der Fahrt das Steuer des Bootes übernommen hätten. Sie sagten jedoch auch klar aus, dass sie weder Abdelhafiz noch die andere Person für die Überfahrt bezahlten, sondern zwischen 5.000 und 8.000 Euro an Fremde, die in Libyen blieben, zahlen mussten.

Trotz dieser Aussagen, die Abdelhafiz O. und die andere steuernde Person als Mitpassagiere identifizieren, die dazu gezwungen waren, die Navigation unter schwierigen Bedingungen zu übernehmen, wurden die beiden Männer festgenommen und des Menschenschmuggels angeklagt.

Nach griechischem Recht (Artikel 25 Gesetz 5038/2023; ehemals Artikel 30 Gesetz 4251/2014) wird Abdelhafiz O. und den anderen Angeklagten die ”unerlaubte Beförderung von 68 Drittstaatsangehörigen auf griechisches Territorium“ unter erschwerenden Umständen vorgeworfen. Konkret handelte es sich um die Vorwürfe des “Handeln aus Gewinnabsicht" und der “Gefährdung des Lebens der Passagiere”. Diese Anklage basiert auf der Behauptung, sie hätten die Steuerung gegen eine Ermäßigung ihres Fahrpreises übernommen sowie auf der mangelnden Rettungsausrüstung des Bootes, den schlechten Wetterbedingungen und der Gefahr des Sinkens.

Dieses Szenario kommt in ähnlichen Prozessen nur allzu häufig vor. Das Steuern des Bootes gegen einen ermäßigten Fahrpreis wird von den Behörden regelmäßig als ”Gewinnstreben“ ausgelegt. Darüber hinaus werden die Migrant:innen und Geflüchteten für die sehr gefährlichen Bedingungen bestraft, denen sie selbst ausgesetzt waren. Die überfüllten, unsicheren und seeuntüchtigen Schiffe, in denen sie reisen müssen, werden häufig als Rechtfertigung für die Anwendung der erschwerenden Umstände der Gefährdung des Lebens der Passagiere herangezogen – und das trotz der Tatsache, dass die geschmuggelten Menschen in der Regel keine Informationen und Kontrolle über diese gefährlichen Arrangements und die Gefährdung ihres eigenen Lebens haben.

Geschmuggelte Migrant:innen und Geflüchtete werden nicht nur des Schmuggels angeklagt, nur weil sie das Steuer übernommen haben – was im Widerspruch zu internationalem Recht steht, welches sie eigentlich schützen soll*(1) –, sondern sie werden auch zu harten Strafen verurteilt, als wären sie skrupellose, profitgierige Kriminelle.

In der Kondsequenz führt diese Praxis dazu, dass Migration als solche wie ein schweres Verbrechen behandelt wird. Diejenigen, wleche das Europäische Grenzregime ins Visier nimmt, werden für das Leiden, welches dieses für sie auslöst, auch noch bestraft, sodass die Schuld den eigentlichen Opfern dieser Politik zugeschoben wird. Der Fall von Abdelhafiz O. zeigt die schwerwiegenden Folgen eines Grenzregimes, das Menschen auf der Flucht als sogenannte Schmuggler kriminalisiert und versucht, von der eigenen Verantwortung für die gefährlichen Migrationswege abzulenken.

Bei einer Verurteilung drohen Abdelhafiz O. und seinem Mitangeklagten harte Strafen – mindestens 15 Jahre Haft und eine Geldstrafe von 200.000 Euro pro transportierter Person. Insgesamt könnten sie zu mehr als 1.020 Jahren Gefängnis (15 Jahre x 68 Passagier*innen) und einer Geldstrafe von über 3 Millionen Euro verurteilt werden.

Beide befinden sich seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft auf der Insel Kreta und musst dort bereits 10 Monate ohne Prozess im Gefängnis ausharren.

Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen und seiner Frau in Ägpyten, die sich sehr um ihren Vater und Ehemann sorgen, fordern wir:

  • dass die Anklage gegen Abdelhafiz O. fallen gelassen wird
  • Freiheit für alle, die für das Steuern eines Bootes oder Autos inhaftiert werden, trotz der Tatsache, dass es keine Alternative gibt, um die Europäische Union zu erreichen
  • Ein Ende der Kriminalisierung von Migration und der Inhaftierung von Menschen auf der Flucht.

 

*(1) Das "Zusatzprotokoll gegen die Schlepperei von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg" der Vereinten Nationen verbietet eindeutig die Kriminalisierung von Migrierenden, die geschleust wurden. Darüber hinaus besagt die Genfer Flüchtlingskonvention, dass Asylsuchende nicht für die unerlaubte Einreise in ein Land kriminalisiert werden dürfen. Sowohl die EU als auch Griechenland sind Unterzeichner des Protokolls und der Konvention.



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