Solidarität mit Tous Migrants
++ UPDATE (28.10.2020): Am 21. Oktober verkündigte der Bürgermeister Briançons in Reaktion auf die über 40.000x unterzeichnete Petition, das Refuge Solidaire für weitere 6 Monate gewähren zu lassen, anstatt es wie geplant am 28. 10. zu schließen. Außerdem wird der Kraftstoffcontainer weiterhin befüllt werden, damit die Unterkunft beheizt bleibt. Im nächsten halben Jahr wird eine Kommission aus gewählten Vertreter*innen über eine neue Lösung für das Refuge Solidaire nachdenken. Noch kein endgültiger Sieg, aber eine erfreuliche Erinnerung, dass Solidarität gewinnen kann! ++
Eine lokale Initiative für eine menschenwürdige Ankunft…
Angesiedelt an der italienisch-französischen Grenze – die seit 2015 von mehr als 11.000 geflüchteten Menschen überquert wurde – war die humanitäre Notlage von Migrant*innen in Briançon besonders sichtbar. Als Reaktion auf die Untätigkeit Europas und die unmittelbare Not vor ihrer Haustür, schlossen sich im Hebst 2015 unter dem Namen „Nicht in unserem Namen, Briançon“ (heute: Tous Migrants) hunderte von Freiwilligen zusammen, um den vorbeikommenden Migrant*innen eine würdevolle Ankunft zu bieten. So stellte der Gemeindeverband (franz. „communauté de communes“) ein Haus zur Verfügung, in dem NGOs den Geflüchteten Unterkunft, Nahrung, Rechtsberatung sowie einen Ort der Zwischenmenschlichkeit anbieten. Auch Bergnotrettung wurde eingeführt.
…bedroht durch eine auf Abschottung zielende Politik
Diese Initiativen stehen nun auf dem Spiel. Der neue Bürgermeister und Vorsitzender des Gemeindeverbands kündigte an, Unterkunft und andere Einrichtungen schließen – eine Bekanntmachung, die im Falle der Ausführung folgenschwere Konsequenzen hätte. Die Bewohner*innen würden ihre Unterkunft ausgerechnet zum Wintereinbruch hin verlieren. Die aus Italien kommenden Menschen wären bei der oft gefährlichen Bergüberquerung gänzlich auf sich gestellt. Die sich in Briançon – und überall in Europa - für Menschenrechte einsetzenden Organisation und Personen sehen sich in ihrem Recht zu helfen eingeschränkt.
„Weil wir uns weigern, unsere Berge zu einem Friedhof werden zu lassen“.
Um dies anzuprangern und zu verhindern, veröffentlichte Tous Migrants am 21. September einen Aufruf auf ihrer Homepage und in der bekannten französischen Zeitung „Libération“: „Um neue Tragödien zu vermeiden, werden wir weiterhin geflüchtete Menschen aufnehmen, retten und die Achtung ihrer Rechte einfordern. Weil wir uns weigern, unsere Berge zu einem Friedhof wie das Mittelmeer werden zu lassen.“ borderline-europe sowie hunderte weitere Organisationen und Persönlichkeiten unterschrieben das Statement, damit Briançon weiterhin ein Ort der Solidarität mit Geflüchteten bleibt. Wir unterschrieben auch, um ein Zeichen zu setzen gegen die in Ausmaß, Häufigkeit und Systematik stetig zunehmende Kriminalisierung von Migration und Solidarität mit Migrierenden.
Als Reaktion auf den Aufruf richtete der Präsident der Nationalen Beratungskommission für Menschenrechte (Commission National Consultative des Droits de l’Homme) einen Brief an den Innenminister und forderte ihn auf, Bedingungen zu schaffen, in denen NGOs ihren Tätigkeiten offiziell nachgehen können. Eine Antwort des Innenministeriums und des Bürgermeisters von Briançon ist bisher noch nicht bekannt.
Des Weiteren läuft eine Petition, um deren Unterzeichnung gebeten wird. Je zahlreicher die Unterschriften, desto stärker die Botschaft: Wir sind viele, die sich rassistischen Entscheidungen widersetzen und für menschenwürdige Unterkunft eintreten.
Die Europäische Union muss ihre Verantwortung gegenüber geflüchteten Menschen wahrnehmen. Wir wissen seit langem, dass sie dies nicht tut. Andere springen ein – und werden dafür kriminalisiert.
Weitere Informationen:
Aufruf auf Libération : https://www.liberation.fr/debats/2020/09/21/pour-que-le-brianconnais-reste-un-territoire-solidaire-avec-les-exiles_1800113
Brief an den Innenminister: https://www.cncdh.fr/sites/default/files/200923_cp_lettre_du_president_accueil_migrants.pdf
8. Oktober 2020