Solidaritätsprozess: Belgischer Staat verfolgt Migrant*innen und Unterstützer*innen!

Französisches Original von "Solidarity is not a crime", übersetzt von borderline-europe ins Deutsche

Alaa, Anouk, Hassan, Hussein, Mahmoud, Mohammad, Mustapha, Myriam, Walid, Youssef, Zakia. Gefängnisstrafe dafür, weil sie Migrant*innen sind? Gefängnisstrafe dafür, weil sie sich mit Schutzsuchenden solidarisiert haben?

Am 23. und 24. März 2021 findet der Berufungsprozess von elf Personen statt, die seit 2017 wegen "Menschenhandels" und "Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung" angeklagt sind. Heute rufen wir alle auf, die an Gerechtigkeit und Solidarität glauben, sie in diesem neuen Prozess zu unterstützen.


borderline-europe berichtete bereits 2019 über diesen Fall. Mehr Informationen zu, Interview und Video mit einer der Angeklaten, Anouk van Gestel, hier.


Der Prozess der Solidarität handelt von sieben Migranten und vier Unterstützer*innen, die sich auf der Suche nach einem besseren Leben solidarisch verhalten haben. Die einen erhofften sich in England ein besseres und würdevolleres Leben als in Belgien, die anderen fanden es unerträglich, dass Menschen obdachlos und mittellos sind. Für diese Taten mussten bereits neun von ihnen zwischen 2 und 13 Monaten in Haft verbringen.

In erster Instanz wurden vier Personen freigesprochen - für zwei von ihnen hatte die Staatsanwaltschaft selbst Freispruch beantragt -, aber die anderen wurden zu Haftstrafen von 12 bis 40 Monaten verurteilt, einige davon auf Bewährung. Unverständlicherweise hat die Brüsseler Staatsanwaltschaft Berufung gegen "das gesamte Urteil" eingelegt, und mit diesem erneuten Verfahren drohen ihnen bis zu 10 Jahre Gefängnis.

Dieser Aufruf ist der x-te Schritt in einem langen Kampf für die Freiheit und gegen die Kriminalisierung der Solidarität, die in ganz Europa und darüber hinaus stattfindet. Drei Jahre lang haben Polizei und Justiz diese elf Personen verfolgt, obwohl ihre polizeilichen Akten keinerlei Beweise für ein Verbrechen enthalten. Ihre Verfolgung ist vor allem politisch. Es ist ein Symbol für die eskalierende Repression, die sich seit zu vielen Jahren gegen Migrant*innen und zunehmend gegen jede Bewegung der Solidarität und des Protests gegen die sicherheitspolitische und ungerechte Ordnung richtet. Diese Tendenz ist in ganz Europa zu beobachten, und folgt meist dem gleichen Modus Operandi: kein Fallenlassen der Anschuldigungen und der Strafverfolgung, um die Unterstützung und die Solidarität lahmzulegen.

Es ist jedoch das Fehlen von Rechten, von sicheren und legalen Flucht- und Migrationswegen und von langfristigen Unterkunftsstrukturen, welches ein Verbrechen darstellt und die Menschen tagtäglich in ein extremes Prekariat treibt. Was sie dazu bringt, selbst Mittel für ihr Überleben, ihre Sicherheit und ihre Freiheit organisieren zu müssen. Wir verurteilen diesen Prozess als einen Versuch, die Welle der Solidarität, die in Belgien und anderswo aufgrund dieser Ungerechtigkeiten entstanden ist, zu bremsen.

Abgesehen von dem großen Unrecht, dafür belangt zu werden, dass man versucht zu überleben oder anderen beim Überleben hilft; abgesehen von den Qualen der Verhöre, der Untersuchungshaft, des Gefängnisses, der Gerichtsverhandlungen, hat die Kriminalisierung der Solidarität einen erheblichen menschlichen und finanziellen Preis. Die Dauer des Verfahrens führt dazu, dass Menschen aufgrund der Wartezeit, jahrelangen Ungewissheit und Gerichtskosten z.T. für Jahre außer Kraft gesetzt wird. Ein Prozess wie dieser verursacht irreparable psychologische, soziale und wirtschaftliche Schäden:

  • Infolge der Untersuchungshaft verlor ein Unterstützer seine Wohnung und befindet sich derzeit in ärztlicher Behandlung.

  • Einige Angeklagte müssen enorme Kosten für Anwält*innen stemmen. Mehrere Personen haben bereits mehr als 10.000 € zahlen und sich infolge dessen verschulden müssen.

  • Die Angeklagten mussten eine für den Prozess notwendige Übersetzung in Höhe von 900 € selbst bezahlen. 

  • Die Solidarität geht weiter, einige Angeklagte beherbergen andere Angeklagte, und das bringt Kosten mit sich (Versorgung etc). 

  • Die Strafverfolgungen behindern die Mobilität, die Arbeitssuche oder die Erlangung eines administrativen Status und tragen somit direkt zur prekären Lage der verfolgten Personen bei.

Wir starten daher einen Aufruf zur Solidarität in Form von Spenden, um zu vermeiden, dass zu den Strapazen des Gefängnisses, der Untersuchungshaft und der strafrechtlichen Verfolgung, die bereits fast drei Jahre andauern, noch die zermürbende dauerhafte finanzielle Last hinzukommt. Lasst uns die Solidarität noch stärker machen, um uns ihrer Kriminalisierung zu widersetzen.

Wir laden Menschen und Organisationen am 23. und 24. März 2021, den Tagen der Berufungsverhandlung, in den Brüsseler Justizpalast ein. Dadurch können wir gemeinsam unsere Solidarität mit den Angeklagten zeigen und uns über diesen Prozess und alle anderen Prozesse gegen Schutzsuchende und Solidarität in Belgien austauschen.

Das Bürgerkollektiv "Solidarity is not a crime" wurde aus dem Willen geboren, die Kriminalisierung von Migration und Solidarität anzuprangern.



Mehr Informationen:



Dienstag, 23. März 2021