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Da das Thema Migration nicht nur zunehmend polarisiert, sondern auch für politische Zwecke instrumentalisiert wird, ist die Überprüfung der Fakten und die Kontextualisierung der Argumente, die in den Medien, in politischen Kampagnen und am Esstisch verwendet werden, von großer Bedeutung. Zu den verbreiteten Mythen gehört der Glaube, dass Migrant*innen die Wirtschaft überlasten, die Kriminalitätsrate erhöhen oder dass Europa mit einer beispiellosen Migrationskrise konfrontiert ist.
Durch die Präsentation evidenzbasierter Analysen will diese Reihe solche Mythen in Frage stellen und ein differenzierteres Verständnis von Migration vermitteln. Durch forschungs- und datengestützte Diskussionen will borderline-europe einen sachkundigen Dialog fördern und Einsichten vermitteln, die auf der Realität und nicht auf falschen Vorstellungen und Stereotypen basieren.
1. Wirken NGO-Rettungsboote im Meer migrationsfördernd, d.h. als Pull-Faktor?
Wir hören regelmäßig von Politiker*innen und Medien über die „Pull-Wirkung“ von NGO-Booten auf dem Mittelmeer.
Und genau das meinen sie: NGO-Rettungsboote auf dem Mittelmeer ermutigen Migrant*innen, ihre Reise anzutreten, weil sie wissen, dass sie gerettet werden.
PRÜFEN WIR DIE FAKTEN!
FALSCH: Denn es gibt keine Anziehungskraft von NGO-Booten! Dies wurde bereits mehrfach bewiesen. Im Gegenteil: Es gibt viele Gründe, warum Menschen fliehen, darunter Verfolgung, Klimawandel, Instabilität, Diskriminierung, Chancenlosigkeit, Krieg, Armut, Familienzusammenführung...
Welche Auswirkungen haben die Debatten über die Pull-Effekte?
- Retter*innen werden als Kriminelle behandelt: Menschen, die auf See Leben retten, werden angeklagt und ihre Einsätze werden blockiert.
- Kürzungen der Mittel: Die finanzielle Unterstützung für Seenotrettungseinsätze wird gekürzt.
- Missachtung der gesetzlichen Pflichten: Die nach internationalem Recht vorgeschriebene Verpflichtung zur Rettung von Menschen auf See wird vernachlässigt.
- Übersehen von Fluchtursachen: Die triftigen Gründe, warum Menschen aus ihren Ländern fliehen, werden außer Acht gelassen.
- Die Gefahr wird unterschätzt: Die tödlichen Risiken der Überfahrt über das Mittelmeer werden heruntergespielt.
Diese Maßnahmen tragen zu einer zunehmend negativen Einstellung gegenüber der Migration bei.
Du glaubst uns nicht? Lies selbst, dass laut Studien kein Pull-Effekt besteht:
- Norwegian Refugee Council (2016): No evidence of a pull effect from sea rescues; people don't know if rescues will take place.
- University of Oxford (2017): Push factors such as war and poverty drive migration.
- Migration Policy Institute (2017): Analysis shows no 'pull' effect.
- EU EASO Report (2018): No correlation between rescue intensity and refugee numbers; war and poverty are key.
- Frontex (2019): No clear effect; push factors in countries of origin are significant.
- University of Trier (2020): "Pull effect is based on wrong assumptions; other factors play a role.
Die Diskussion ist nach wie vor politisch kontrovers - selbst in Wahlkämpfen; die Seenotrettung wird oft als Sündenbock benutzt, um komplexere Migrationsfragen zu verschleiern.
2. Sind Migrant*innen eine Belastung für das Sozialsystem?
Regelmäßig hören wir von Politiker*innen und Medien, dass Migrant*innen eine Belastung für das Sozialsystem sind.
Und genau das meinen sie: Migrant*innen beuten unsere Sozialsysteme aus und tragen nicht zum wirtschaftlichen Erfolg eines Landes bei.
PRÜFEN WIR DIE FAKTEN!
Falsch: Denn Studien zeigen, dass Migration wirtschaftliche Vorteile und keine Belastungen mit sich bringt. Kosten entstehen lediglich vorübergehend in der Ankunftsphase. Sobald sie in den Arbeitsmarkt integriert sind, tragen Migrant*innen mehr bei, als sie erhalten. In Ländern mit sinkenden Geburtenraten sind Migrant*innen für eine starke Erwerbsbevölkerung unerlässlich.
Welche Auswirkungen haben die aktuellen Debatten über den Sozialstaat?
- Stigmatisierung und Rassismus: Migrant*innen und Flüchtlinge werden zu Unrecht als „faul“ oder „ungelernt“ abgestempelt, was zu negativen Stereotypen führt.
- Missachtung internationaler Verpflichtungen: Politiker*innen setzen sich über rechtliche Verpflichtungen hinweg, um eine strengere Asylpolitik zu rechtfertigen.
- Restriktive Politiken und Generalverdacht: Der Zugang zu finanzieller Unterstützung wird durch die Einführung spezieller Zahlungskarten für Geflüchtete eingeschränkt, wodurch Misstrauen geschürt wird.
- Leugnung von Flucht- und Migrationsgründen: Legitime Fluchtgründe werden abgetan und die Betroffenen zu Unrecht beschuldigt, die Sozialhilfe auszunutzen.
Diese Maßnahmen tragen zu einer wachsenden negativen Einstellung gegenüber Migration bei.
Du glaubst uns nicht? Lies selbst, dass Studien zeigen, dass Migrant*innen das Sozialsystem nicht belasten:
- Oxford University (2019): Keine Belege für einen „Magneteffekt“ als Pull-Faktor für die Migration in die großzügigsten Sozialstaaten.
- BPB (2021): „Je schneller neue Zuwanderer eine Beschäftigung finden, die ihrem Qualifikationsniveau entspricht, desto positiver sind die fiskalischen Auswirkungen.“
- IZA World of Work (2014): „Im Gegensatz zur Wohlfahrtsmagnet-Hypothese deuten empirische Belege darauf hin, dass Einwanderungsentscheidungen nicht auf der Grundlage der relativen Großzügigkeit der Sozialleistungen des Gastlandes getroffen werden.“
- SAIS Europe Journal of Global Affairs (2022): „Refugees are not a fiscal burden“.
3. Warum fliehen Menschen aus Ländern, in denen ich einen schönen Urlaub verbringen kann?
Regelmäßig hören wir von Menschen und Medien, dass ein Land, in dem man gut Urlaub machen kann, auch sicher sein muss, um dort zu leben.
Und genau das meinen sie: Menschen, die Asyl beantragen und aus einem Land fliehen, das wir als Urlaubsland betrachten, haben keinen legitimen Grund zu fliehen!
PRÜFEN WIR DIE FAKTEN!
FALSCH: Denn, wenn wir atemberaubende Strände oder malerische Städte besuchen, sehen wir oft nur die Schönheit und das Abenteuer. Doch für viele Einheimische ist die Realität viel komplexer. Die Sicherheit von Tourist*innen hängt oft von Privilegien ab (Ferienanlagen, Sicherheitsvorkehrungen, Schutzgebiete), zu denen Einheimische keinen Zugang haben. Vulnerable Gruppen (Aktivist*innen, Minderheiten, LGBTQ+...) sind oft gefährdet. Tourist*innen können ein Land jederzeit verlassen. Für Einheimische sieht die Situation anders aus: Es gibt keinen legalen Weg aus oder in einen anderen Staat.
Welche Auswirkungen haben die aktuellen Debatten über „sichere Länder“?
- Abschreckung von Asylbewerber*innen aus „sicheren“ Ländern: Die Behörden schrecken Personen aus den als „sicher“ eingestuften Ländern davon ab, Schutz zu suchen.
- Verstoß gegen das Völkerrecht: Die Abschiebung von Personen in Länder, in denen ihnen Verfolgung oder Folter droht, verstößt gegen internationale rechtliche Verpflichtungen.
- Ausweitung der Listen „sicherer Länder“: Mehr Länder werden als „sicher“ eingestuft, um Abschiebungen zu beschleunigen, wobei individuelle Risiken außer Acht gelassen werden.
- Umsetzung strengerer Abschiebungsmaßnahmen: Die Behörden führen schnellere Verfahren ein, erweitern die Definitionen von Straftatbeständen und setzen strengere Haftbedingungen vor der Abschiebung durch.
- Trivialisierung politischer Situationen: Privilegierte Tourist*innen romantisieren ihre Reisen und spielen ernste politische Themen, die sie nicht direkt betreffen, herunter.
Dieses Verhalten trägt zu einer zunehmend negativen Einstellung gegenüber der Migration bei.
Du glaubst uns nicht? Lies selbst, warum sichere Länder nicht für alle sicher sind:
- Morlotti, S. (2024). Safe or Not? Some Much-Awaited Clarification on the Designation of Safe Third Countries of Origin by the CJEU SARA MORLOTTI. [online] Available at: https://rivista.eurojus.it/wp-content/uploads/pdf/Safe-or-Not-1.pdf [Accessed 30 Jan. 2025].
-
Euromed Rights, Fidh and Aedh (2016). ‘Safe’ countries: A denial of the right of asylum. [online] Available at: https://euromedrights.org/wp-content/uploads/2016/10/AnalysePaysSurs-FINAL-EN-12052016_final.pdf.
-
Timothy, D.J. (2002). Tourism and Political Boundaries. [online] Routledge. doi:https://doi.org/10.4324/9780203214480.
4. Schürt Migration den Terrorismus?
Nach den jüngsten Terroranschlägen fordern einige die Abschiebung von Migrant*innen oder eine strengere Einwanderungspolitik.
Dies ist ihre Meinung: Sie sehen in der Einwanderung ein Sicherheitsrisiko und glauben, dass sie die Gefahr des Terrorismus erhöhen könnte.
PRÜFEN WIR DIE FAKTEN!
Es gibt kaum Beweise dafür, dass mehr Zuwanderung zu mehr Terrorismus führt, insbesondere in westlichen Ländern. Zwar werden einige Anschläge von Migrant*innen der ersten, zweiten oder dritten Generation verübt, doch ist diese Korrelation im Vergleich zur Gesamtzahl der Einwanderer unbedeutend. Strengere Einwanderungsvorschriften halten den Terrorismus nicht auf, aber Terroranschläge sind oft der Auslöser für eine strengere Einwanderungspolitik und schüren ausländerfeindliche Gefühle.
Woher kommen diese Forderungen?
- Terroristische Anschläge untergraben die Sicherheit: Solche Anschläge bedrohen unser grundlegendes Bedürfnis nach Sicherheit und zielen oft auf liberale Demokratien und ihre Werte von Freiheit und Frieden ab.
- Verlust des Sicherheitsgefühls: Nach einem Anschlag fühlen sich viele Menschen weniger sicher und unterstützen möglicherweise irrationale politische Maßnahmen, um ein Gefühl der Sicherheit wiederzuerlangen.
Politiker*innen können die Angst der Menschen leicht missbrauchen, um Unterstützung für ideologisch motivierte oder populistische Maßnahmen zu gewinnen, auch wenn diese nachweislich keine Wirkung haben.
Du glaubst uns nicht? Lies selbst, dass Migration nicht zu mehr Terrorismus führt:
- Helbling, M., & Meierrieks, D. (2022). Terrorismus und Migration: An Overview.
- Beobachtungsstelle für Radikalisierung und Terrorismusbekämpfung (2021). Bericht über Terrorismus und Radikalisierung in Europa - Nr. 2, Jahr 2.